Wie wollen und können wir im Alter wohnen? Wie gelingt es uns, die passende Wohnform zu finden? Und wie schaffen wir es, unsere Wohnwünsche Wirklichkeit werden zu lassen? Früher oder später beschäftigt sich jeder Mensch mit diesen Fragen. Dann braucht er Orientierung und Beratung. Beides erhalten Sie bei Anke Paulick, Geschäftsführerin von „Wohnen im Alter“ http://www.wohnen-im-alter.de/, und den Inhaberinnen von Senioren-Wohnwechsel www.senioren-wohnwechsel.de, Eva Burchard und Ute Jaschke. Im Expertengespräch geben sie Tipps und Prognosen.

 

Sie bieten mit Ihren Unternehmen u.a. Unterstützung bei der Suche und der Wahl eines Lebensraums im Alter. Woran liegt es Ihrer Erfahrung nach, dass in diesem Bereich Hilfe benötigt wird?

Anke Paulick: Das hat verschiedene Gründe. Die Wahlmöglichkeiten werden immer vielfältiger und immer erklärungsbedürftiger. Denken Sie nur an Demenz-WGs, Hausgemeinschaften und Tagesbetreuung plus Unterstützung durch ambulante Dienste statt stationärer Betreuung. Auch bei Wohnraumanpassungen gibt es verschiedene Möglichkeiten. Da fällt die Wahl der richtigen Wohn- und Pflegeform schon schwer. Hinzu kommt, dass das Thema gerne verdrängt wird. Die wenigstens Menschen planen aktiv, wie sie im Fall einer Pflegebedürftigkeit leben wollen. Daher muss oft eine schnelle Lösung gefunden werden, gerade, wenn es zum Beispiel um die Entlassung aus dem Krankenhaus geht. Besonders unklar sind häufig die Finanzierung und der Prozess: An wen muss ich mich wenden, wenn ich Unterstützung brauche, wer hilft mir bei der Beantragung von Pflegegeld oder bei einem Einspruch? Es gibt zwar überall lokale Angebote von unterschiedlichen Trägern. Aber es fehlt ein bundesweit einheitliches und leicht zugängliches Pflegeberatungsnetz. Wir versuchen mit unserem Angebot diese Lücke zu schließen und online die zentrale Lotsenstelle zu sein. Angehörige können sich an uns wenden, um dann weitere Anlaufstellen oder Dienstleister genannt zu bekommen, die entsprechende Angebote haben.

Ute Jaschke: Die Betroffenen brauchen Hilfe und eine Entlastung in dieser Phase, aber auch die Söhne und Töchter. Die Familien leben immer weiter voneinander entfernt, sodass gegenseitige Unterstützung aufgrund der räumlichen Trennung, aber auch aus zeitlichen Gründen nicht mehr so möglich ist, wie das früher einmal der Fall war. Die Söhne und Töchter sind in der so genannten rush hour des Lebens, sie arbeiten, haben selbst Kinder, die sie versorgen müssen, sind also sehr eingespannt und mit der Situation oft überfordert. Das ist die Stelle, an der wir ansetzen und für Entlastung sorgen.

Wer nimmt Ihre Dienstleistungen in Anspruch?

Anke Paulick: Auf unserer Seite informieren sich rund 350.000 Menschen im Monat. Zu 90 Prozent handelt es sich um Angehörige. In der Mehrheit sind unsere Nutzer zwischen 35 und 60 Jahre alt. Allerdings holen die Älteren deutlich auf. Die Älteren interessieren sich für Pflegevorsorgethemen oder auch perspektivisch für betreutes Wohnen.

Eva Burchard: Wir werden sowohl von den Söhnen und Töchtern – den sog. Best Agern -angesprochen als auch von den Senioren selbst, wenn diese noch fit sind und ihren Wohnwechsel aktiv gestalten.

Was sind erfahrungsgemäß die drängendsten Fragen, die die Menschen haben, die Ihr Angebot in Anspruch nehmen?

Anke Paulick: In erster Linie geht es um die Wahl einer guten Einrichtung und um die Verfügbarkeit. Denn eine Liste mit Einrichtungen zu erhalten hilft wenig, wenn man nicht weiß, wie gut diese bewertet wurden und welche für die gewünschte Pflegeform verfügbar sind. Drängende Themen sind auch die Pflegefinanzierung, Fragen rund um die Beantragung einer Pflegestufe und der Umgang mit Ablehnungen und Einsprüchen. Außerdem suchen immer mehr Menschen nach Beratung zum Umgang mit Demenz: Wie kann ein Pflegearrangement bei Demenz aussehen, damit mein Angehöriger gut versorgt ist? Wie gehe ich mit der emotionalen Belastung um und welche Möglichkeiten der Entlastung gibt es für mich selbst?

Ute Jaschke: Bei unseren Gesprächen merken wir immer, dass es viele Ängste gibt. Die Älteren sind mit dem bevorstehenden Wohnwechsel überfordert. Sie fragen sich, ob und wie sie eine neue, seniorengerechte Wohnung mit guter Infrastruktur finden, in der sie sich wohlfühlen. Viele sorgen sich auch um die vorhandene Immobilie: Was passiert damit? Wer renoviert, vermietet oder verkauft sie für mich? Und natürlich kommt in den Gesprächen immer auch die Frage nach den Kosten. Das ist eine der größten Sorgen: Was kostet der Umzug? Was kostet die neue Wohnung? Kann ich das als Rentner noch finanzieren? Wir bestärken die Senioren darin, sich mit dem Thema zu beschäftigen, beraten sie, suchen mit ihnen Antworten auf ihre Fragen und helfen ihnen, die passende Wohnform zu finden. Ist das geschehen, steht dann die Frage im Vordergrund, was mitgenommen werden kann und was aussortiert werden muss. Denn in der Regel erfolgt der Umzug in eine kleinere Wohnung. Hier helfen wir auch ganz pragmatisch.

Anke Paulick: Wir stellen oft fest, dass Kinder und Eltern über den wirklichen Unterstützungsbedarf uneins sind. Die Kinder sehen häufig einen wesentlich größeren Handlungsbedarf als die Eltern. Hinzu kommt, dass der Umzug zu spät angegangen wird und unrealistische Vorstellungen herrschen. So bekommen wir Anfragen nach betreuten Wohnungen für Menschen mit einer fortgeschrittenen Demenz. Das ist nicht der richtige Lebensraum für diese Menschen. Daher müssen wir häufig erst einmal den tatsächlichen Bedarf und das passende Angebot ermitteln. Die Entscheidung, wie man leben möchte, wird zusätzlich erschwert durch die mangelnde Transparenz und Vergleichbarkeit der verschiedenen Anbieter. Daher unterstützen wir die Betroffenen durch ausführliche Profilinformationen und telefonische Beratung. Bei manchen Angebotsformen übersteigt die Nachfrage das Angebot bei weitem. Wir könnten bei Wohnen im Alter viel mehr betreute Wohnungen vermitteln als bundesweit im Angebot sind, besonders im preisgünstigen Segment. Denn auch wir hören immer wieder die bange Frage: Kann ich mir das überhaupt leisten?

Ute Jaschke: Das sind auch unsere Erfahrungen. Die Älteren denken viel zu spät über eine Veränderung nach. Daher sind es dann meist auch die Söhne und Töchter, die uns beauftragen, weil sie dringenden Handlungsbedarf sehen. Dann stehen wir als Mediatoren zwischen Söhnen, Töchtern und Eltern und dienen manchmal auch als Puffer, denn die bevorstehenden Veränderungen benötigen oft auch eine emotionale Begleitung.

Eva Burchard: Vielen Menschen bereitet auch die ganze Arbeit rund um den Wohnwechsel Kopfzerbrechen. Sie wissen einfach nicht, wie sie den Berg, der vor ihnen liegt, bewältigen können. Besonders schwer für die Senioren ist sicherlich das Loslassen. Denn ein Wohnwechsel heißt ja immer auch, einen Lebensabschnitt, eine vertraute Umgebung, eventuell liebgewordene Möbel- und Erinnerungsstücke hinter sich zu lassen. Daher ist es unser Ansatz und unser Anliegen, Entlastung zu schaffen und für einen stressfreien Wohnwechsel zu sorgen. Wir entwickeln gemeinsam mit den Beteiligten Lösungen für die neue Wohnsituation, finden sie und managen den gesamten Umzug, packen an und überlegen, was mitgenommen werden soll. Wir erstellen bei Bedarf einen Einrichtungsplan, sortieren gemeinsam mit dem Kunden, die Sachen aus, die nicht mehr benötigt werden, und vermitteln sie beispielsweise an soziale Einrichtungen. Wenn Renovierungen, eine Vermietung oder der Verkauf einer Immobilie anstehen, organisieren wir dies mit einem professionellen Netzwerk von Handwerkern und Maklern. Wir sind solange an der Seite unserer Kunden, bis sie in ihrer neuen Wohnsituation wirklich angekommen sind.

Wie möchten die meisten Menschen im Alter leben?

Eva Burchard: Die meisten Menschen möchten selbstbestimmt und in den eigenen vier Wänden alt werden. Das wollen wir ja alle. Tatsächlich werden heute viele Menschen sehr alt und bleiben trotzdem unabhängig. Im Moment sind in Deutschland 17 Millionen Menschen älter als 65 Jahre. Von den 70- bis 75-Jährigen versorgen sich 95 % selbst, von den 75- bis 80-Jährigen sind es 90 %. Die öffentliche Wahrnehmung ist durch die Berichterstattung in der Presse oft ein bisschen verschoben, weil man sehr viel hört über Demenz und Pflege. Sicher sind das große Themen und eine Plattform wie „Wohnen im Alter“ ist eine sehr große Hilfe für Menschen, die in einer solchen Situation sind. Nichtsdestotrotz ist es ja immer noch so, dass der ganz große Teil der Menschen sich im Alter sehr selbstständig versorgt.

Anke Paulick: Ich teile die Einschätzung, dass sich die überwiegende Mehrheit wünscht, in der eigenen Wohnung und in der vertrauten Umgebung zu bleiben und alt zu werden. Die Angst vor Veränderung darf aber nicht den Blick auf die Vorteile verstellen. Die Menschen, die sich zu einem Umzug oder einer Veränderung entschlossen haben, sind hinterher sehr erleichtert, weil sie lästige Pflichten wie Gartenpflege abgeben und sich auf sich selbst konzentrieren können. Im Vorfeld ist eine solche Veränderung schwierig. Aber der Verbleib in der eigenen Wohnung ist tatsächlich nicht immer der beste Weg und die beste Lebensform.

Eva Burchard: Diese Erfahrung haben wir auch gemacht: Ein Wohnungswechsel besitzt einen positiven Effekt. Ist der Wechsel vollzogen, bringt er Erleichterung. Die Menschen sind froh, weniger Verpflichtungen zu haben. Und der Wechsel setzt bei vielen positive Energie frei.

Wann ist der richtige Zeitpunkt, um einen Wohnwechsel vorzunehmen?

Anke Paulick: Für den Wohnungswechsel ist eigentlich der Renteneintritt der perfekte Zeitpunkt. Aber die wenigsten gehen das Thema so früh an. In der Realität wird eher ab 75 über das Wohnen im Alter nachgedacht. Wenn der Verbleib in der eigenen Wohnung unmöglich geworden ist, wird es schwierig. Jemand, der den Wohnungswechsel mit 65 angeht, hat noch ganz andere Möglichkeiten, sich ein neues soziales Umfeld aufzubauen. Später geht es oft nur noch um die Sicherstellung der Pflegeleistung. Daher empfehlen wir: Wenn jemand sich grundlegend verändern möchte, also über eine Hausgemeinschaft, betreutes Wohnen oder ähnliche Wohnprojekte nachdenkt, ist die Zeitspanne zwischen Mitte 60 bis 70 der richtige Zeitpunkt.

Ute Jaschke: Der richtige Zeitpunkt für eine Veränderung ist sicherlich, wenn man noch aktiv und fit ist und selbstbestimmt überlegen kann, wie man alt werden möchte. Das ist jedoch bei uns in den wenigsten Fällen so. Oft hätte der Wohnwechsel schon mindestens fünf oder zehn Jahre vorher stattfinden müssen. Es ist zwar nie zu spät: Wer sich jedoch mit seinem neuen Zuhause aktiv auseinandersetzt, dem fällt auch der Umzug leichter. Eine weitere Schnittstelle ist der Verkauf des Hauses. Da fällt das Loslassen extrem schwer. Denn natürlich besteht der Wunsch, weiterhin in dem eigenen Haus zu wohnen. Oft erfordert aber die gesundheitliche Situation ein Umdenken. Außerdem sind die Häuser oder Wohnungen in der Regel zu groß und entsprechend teuer. Dass die Immobilie verkauft werden muss, ist eine einschneidende Erkenntnis.

Wie nachgefragt sind neue Wohnformen?

Anke Paulick: Das Interesse ist groß. Tatsächlich machen diese Modelle aber weniger als fünf Prozent aller Angebote aus. Es gibt zudem einen klaren Trend zur Ambulantisierung, der ja auch politisch gestützt wird. Das heißt: Man mietet eine barrierefreien Wohnung mit Service und Tagespflege durch den ambulanten Dienst. Auch Wohnungsbaugesellschaften und Kommunen wachen immer mehr auf, vernetzen die verschiedenen Akteure und versuchen, den Verbleib in der eigenen Wohnung auch bei leichter Pflegebedürftigkeit zu ermöglichen. Das sind jedoch Pilotprojekte. Das Standardmodell ist die Pflege in Pflegeheimen oder durch die Angehörigen, unterstützt durch ambulante Pflegedienste. Ein Trend, den wir gerade beobachten, ist der Wunsch jüngerer Senioren in Pflegeimmobilien zu investieren. Zum einen als Kapitalanlage und zum anderen als Option dort später selbst einzuziehen und die Immobilie im Pflegefall zu nutzen.

Eva Burchard: Das können wir bestätigen. Gleichzeitig kennen wir viele Best Ager, die bereits darüber nachdenken, wie sie im Alter leben wollen. Vor allem Singles machen sich frühzeitig Gedanken. Sie bevorzugen ganz klar generationenverbindende Wohnformen mit sozialen Kontakten bei gleichzeitiger Selbstbestimmung. 52 Prozent sehen im Mehrgenerationenwohnen einen attraktiven sozialen Rahmen der gegenseitigen Unterstützung von Jung und Alt. Besonders die Möglichkeit zur schrittweisen Anpassung an die Bedürfnisse macht für viele diese Wohnform attraktiv. Plattformen wie wohnprojekte-portal.de der Stiftung Trias bieten eine gute Möglichkeit, erste Kontakte zu knüpfen. Auch Ihre Plattform, liebe Frau Paulick, ist da sicherlich sehr hilfreich und auch wir sind in Kontakt mit Bauträgern, die individuelle Wohnmodelle planen und realisieren.

Anke Paulick: Viele wünschen sich Wahlmöglichkeiten und die Option, Stück für Stück immer mehr Unterstützung hinzuzunehmen, wenn es notwendig ist. Spannend finde ich auch immer die Beschäftigung mit der Frage: Wie wichtig ist mir die Wahrung der Individualität gegenüber der Gemeinschaft, die ich erleben möchte und der möglichen Sicherheit. Neben der Klärung der finanziellen Möglichkeiten ist es wichtig, frühzeitig Kontakt zu Anbietern aufzunehmen, bevor der Ernstfall eintritt. Dann hat man die Zeit, sich eine Meinung zu bilden und eine Umsetzung aktiv zu begleiten, gerade, wenn es um Bauprojekte geht.

Was sind die Themen der Zukunft?

Anke Paulick: Ich finde es sehr wichtig, dass eine Wahlmöglichkeit zwischen den verschiedenen Alternativen bleibt. Ein kritischer Faktor ist jedoch der Fachkräftemangel. Schon heute fehlen viele Pflegekräfte. Die Lage wird sich in den nächsten Jahren deutlich verschärfen. Daher muss über Modelle nachgedacht werden, wie ältere Menschen ihre Selbstständigkeit behalten und für gegenseitige Unterstützung gesorgt wird. Wir, die Politik, die Betreiber müssen etwas tun, um das Ansehen der Pflege in der Gesellschaft zu steigern. Die Vergütungsstruktur von Pflegekräften muss verbessert werden. Es müsste mehr spannende Pilotprojekte geben. Vor allem das Modell Wohnung plus Tagespflege plus Verhinderungspflege plus ambulante Pflege wird in den nächsten Jahren sehr stark nachgefragt. Daher müssen Projekte aus der Pilotphase in die Breite überführt werden, so dass ausreichend barrierefreier Wohnraum zur Verfügung steht und ein engmaschiges Pflegenetz angeboten werden kann. Ich glaube weniger an ein Seniorenwohnen als vielmehr an ein barrierefreies, vernetztes, zentrales Wohnen für alle, das auch für junge Familien oder beruflich stark eingespannte Personen sehr attraktiv ist. Wir brauchen in Zukunft attraktive Angebote für alle: barrierefrei, zentral mit einer gut abgestimmten, engmaschigen Unterstützungsstruktur, so dass man sich immer die Hilfe holen kann, die man braucht, aber auch nur das bezahlt, was man benötigt.

Eva Burchard: Wir stehen an einer Zeitenwende und können uns auf einen Zugewinn an aktiven Lebensjahren freuen. Diesen Zugewinn sinnvoll zu nutzen ist auch im Hinblick auf die Wahl der Wohnform eine wichtige Aufgabe. Die Altersforscherin Ursula Staudinger sagt: „Jemand, der heute 60 ist, ist physisch und mental so fit und leistungsfähig wie ein 50-Jähriger vor zwanzig Jahren.“ Die Generation der 65- bis 85-Jährigen steckt noch voller Möglichkeiten und Fähigkeiten. Sie führt weit überwiegend ein sehr aktives Leben, in dem Familie, eigene Interessen und Hobbys, aber auch ehrenamtliches Engagement eine große Rolle spielen. Der Thematik Pflegekräftemangel muss man sich auf alle Fälle stellen. Allerdings sollte man auch bedenken, dass die Gesellschaft zwar strukturell altert, sich die ältere Generation jedoch verjüngt und damit einen Teil der Auswirkungen der demographischen Entwicklung kompensiert.